Einsturz der Eissporthalle in Bad Reichenhall am 02.01.2006

von Walter Nöhrig, Einsatzleiter Feuerwehr

„Alarmstufe 6 für die Feuerwehr Bad Reichenhall – Einsturz der Eishalle in Bad Reichenhall – mehrere Personen vermisst“

Mit dieser Durchsage wurden die Feuerwehren Bad Reichenhall, Piding und Bayerisch Gmain am 02.01.2006 um 16.00 Uhr alarmiert. Schon die Anfahrt war aufgrund des Schneefalls und des Urlauberverkehrs äußerst schwierig. Bereits während der Anfahrt wurde veranlasst, dass nachrückende Kräfte die Straße vor der Eislauf- und Schwimmhalle, die Münchner Allee, sperren.

Am Einsatzort angekommen war sofort klar, dass das Schadensereignis weit größer war als sich jeder von uns auch nur vorstellen konnte.

Im Eingangsbereich und auf der Straße vor der Eishalle liefen Menschen, darunter viele Kinder, teilweise mit Schlittschuhen herum.

Im Foyer der Eislauf- und Schwimmhalle herrschte absolutes Chaos. Weinende und schreiende Menschen liefen uns entgegen. Einige offensichtlich verletzt, blutend. Viele der Kinder hatten noch ihre Schlittschuhe an. Auch aus der benachbarten Schwimmhalle liefen die ersten Badegäste ins Freie.

Wir liefen über eine Treppe auf die Tribüne der Eishalle. Erst hier konnten wir das schreckliche Ausmaß des Einsturzes erkennen. Es war ungewöhnlich leise, fast erdrückend still. Das Dach war im Mittelteil der Halle vollständig heruntergefallen, an den Seiten lagen die riesigen Holzträger noch auf den Betonpfeilern und auf dem Eis auf. Die Dachhaut aus Blech hing zum Teil herunter und überall waren große Schneeberge zu sehen. Einige Personen krabbelten auf allen vieren über den Schnee. Die ersten Helfer, darunter ein Feuerwehrkamerad in Zivil, waren schon dabei die verschütteten auszugraben und zu befreien.

Nach einer ersten flüchtigen Erkundung lief ich wieder auf die Straße um nachrückende Kräfte einzuteilen. Auch der 1. Kommandant SBI Andreas Gabriel war gerade eingetroffen. Nach einer kurzen Absprache übernahm er sofort die Nachalarmierung.

Trennschleifer, Motorsägen, Hebekissen, aber vor allem Schaufeln aller Art waren die ersten und wichtigsten Gerätschaften in der Eishalle. Schon nach kurzer Zeit konnten einige Kinder unter den Trümmerhaufen befreit und geborgen werden. Zwei Kinder wurden zwar sehr schnell gefunden, waren aber noch unter schweren Teilen eingeklemmt. Auch das BRK trifft nun massiv am Schadensort ein, die Einsatzleitung des BRK untersagt aber ihren Helfern wegen Einsturzgefahr das Betreten der Eishalle.

Schon nach ca. 20 Minuten war der Sachgebietsleiter Brand- und Katastrophenschutz im Landratsamt, Günter Ehrichs, am Schadensort. Auch OB Heitmeier und Landrat Grabner waren schnell an der Eishalle und bereits 35 Minuten nach der Alarmierung wurde der Katastrophenfall erklärt. SBI Andreas Gabriel wurde als Örtlicher Einsatzleiter (ÖEL) bestimmt. Diese sehr schnelle Entscheidung des Landrates hatte maßgebliche Auswirkungen auf den weiteren Einsatzverlauf. Sehr schnell wurden die Örtliche Einsatzleitung an der Eishalle und die Führungsgruppe Katastrophenschutz im Landratsamt eingerichtet. Kreisbrandrat Rudi Zeif, der ebenfall am Schadensort eintraf, übernahm die Koordination zwischen ÖEL und LRA sowie die Pressearbeit, was sich im Nachhinein als sehr wirkungsvoll herausstellte.

In der Eishalle wurden in den ersten 30 Minuten 14 Personen gerettet. Sehr hilfreich erwiesen sich dabei die Lawinenhunde der Bergwacht Bad Reichenhall die mit einer unglaublichen Sicherheit die verschütteten Personen aufspürten.

Einige Kinder wurden zwar schnell gefunden, waren aber so eingeklemmt, dass sie erst nach Stunden befreit werden konnten. Zudem war äußerste Vorsicht geboten, um nicht Teile der abgestürzten Dachkonstruktion unnötig zu bewegen. Eine Kettenreaktion mit einem Totaleinsturz der Halle wäre die Folge gewesen.

Unter schwierigsten Bedingungen und teilweise unter Lebensgefahr mussten sich die Hilfskräfte durch die Trümmerberge arbeiten, denn die Eishalle war absolut instabil und damit erheblich einsturzgefährdet. Die physische und psychische Belastung der eingesetzten Kräfte war in dieser Zeit fast unerträglich.

Immer wieder musste die Eishalle wegen Einsturzgefahr geräumt werden. Statiker und Bauingenieure die als Fachberater zur Eishalle gerufen wurden, beurteilten die Lage als absolut kritisch. Schweres Gerät zur Absicherung der einsturzgefährdeten Eishalle war zu diesem Zeitpunkt noch nicht vorhanden.

Im Verlauf der ersten Stunde wurden insg. 8 Autokräne und zwei Kettenbagger zur Sicherung der schweren Konstruktionsteile angefordert. Die angeforderten Autokräne hatten jedoch große Probleme bei dem starken Schneefall überhaupt an die Einsatzstelle zu gelangen.


Nach 60 Minuten waren bereits 170 Feuerwehrleute, 80 BRK-Kräfte, 20 Notärzte, 20 Mann des THW BGL, 20 Mann der Bundeswehr und 20 Polizeibeamte im Einsatz.

Die erste Einsatzbesprechung in der Örtlichen Einsatzleitung fand um 17.46 Uhr statt. Zu diesem Zeitpunkt war auch eine erste tote Person geborgen worden. Nach Aussage des Eismeisters waren zum Zeitpunkt des Einsturzes ca. 50 Personen auf dem Eis, was sich später als genau zutreffend erwies. Es waren also noch ca. 14 Personen vermisst.

Bereits bei dieser ersten Besprechung war man sich darüber im Klaren, dass es sich um einen mehrere Tage dauernden Einsatz handeln wird. Kriseninterventionsteam, CISM und Notfallseelsorger waren unterwegs bzw. schon im Einsatz. Auch eine erste Verpflegungsstelle wurde eingerichtet. Zur gleichen Zeit wurde das Absaugen des Ammoniaks unter der Eisfläche vorbereitet. Am hinteren Teil der Halle wurde über den Sportplatz eine Kiesstraße und eine Panzerstraße aufgeschüttet bzw. ausgelegt, um einen Zugang mit schwerem Gerät zu schaffen. In einer Gemeinschaftsaktion von THW und Feuerwehr wurden Lkw mit Kies, Bagger, Stahlplatten und einige Rüttelplatten organisiert um bis 2 Uhr nachts diese Zufahrt aufzuschütten. Erschwerend war die Tatsache, dass sich in nur 60 cm Tiefe unter dem Sportplatz eine Erdgasleitung befand.

Um 21.46 Uhr wurde von der Bergwacht eine letzte lebende Person unter den Trümmern geortet und zusammen mit der Feuerwehr gerettet. Bis Mittwoch konnten weitere 14 Personen nur noch Tot geborgen werden. Bis zu diesem Zeitpunkt wurden alle Arbeiten per Hand, nur mit Unterstützung von Minibaggern, durchgeführt.

Mittwochfrüh wurde damit begonnen, die unter der Eisfläche liegende Tiefgarage abzustützen, damit die Eisfläche mit mehreren 40-Tonnen-Baggern befahren werden konnte. Diese Abstützungsarbeiten waren eine logistische und handwerkliche Meisterleistung. In nur 8 Stunden wurden 1.700 Eisenstützen, 240 Baumstämme und 8 Kreuzstapel eingebaut.

 

Insgesamt dauerte der Einsatz 74 Stunden in denen alle Helfer bis an die Grenzen der psychischen und physischen Leistungsfähigkeit gefordert wurden. In der Spitze waren über 700 Einsatzkräfte gleichzeitig im Einsatz, ohne dass sich auch nur ein Helfer verletzt hatte.

Besonders hervorzuheben war die hervorragende Zusammenarbeit aller beteiligten Hilfskräfte während des gesamten Einsatzes. Bereits seit Jahren war Kreisbrandrat Rudi Zeif und das Landratsamt BGL bemüht, die einzelnen Hilfsorganisationen bei den verschiedensten Übungen und Besprechungen zusammen zu führen. Ausgesprochen zielführend und hilfreich ist bei derartigen Großschadenslagen das Bayer. Katastrophenschutzgesetz. Die Kompetenzen sind klar verteilt und alle Beteiligten kannten ihre Aufgaben und ihre Stellung in dieser Hierarchie. Ein großes Lob gebührt den Staatlichen Feuerwehrschulen in Bayern, denn erst mit dieser Ausbildung sind die Feuerwehrführungskräfte in der Lage den Einsatzablauf zu ordnen, zu koordinieren und letztendlich zu bewältigen. Auch bei diesem Einsatz wurde vom ÖEL, Andreas Gabriel, und allen eingesetzten Hilfskräften, Behörden und Privatpersonen vorbildliche und professionelle Arbeit geleistet. Einen herzlichen Dank allen Beteiligten.