Tankwagenunfall in Bad Reichenhall am 22.11.1982

Bericht: SBI Tiefenthaler-Haagn

Auszugsweise aus dem Bericht in der Brandwacht 3/83 nach dem Brandbericht von SBI Fritz Tiefenthaler-Haagn

1. Feststellung der Lage

Am Montag, den 22. November 1982 wurde die Freiwillige Feuerwehr Bad Reichenhall um 20.28 Uhr alarmiert: Berchtesgadener Straße 2, ESSO-Tankstelle, Verkehrsunfall mit Großbrand. Die Temperaturen betrugen um 0 °C, bei klarem Himmel wehte starker Wind aus Süd bis Südwest. Die Einsatzzentrale der Feuerwehr Bad Reichenhall löste sofort Alarm für die gesamte Feuerwehr (4 Löschzüge) aus. Die ersten Einsatzkräfte mit ELW, TroTLF 16, TLF 16/25, DLK 23-12 und RW 2 trafen mit insgesamt 28 Mann um 20.35 Uhr an der Unfallstelle ein.

2. Erkundung der Lage

In Höhe der ESSO-Tankstelle, Berchtesgadener Straße 2, war ein Sattelzug, der in Richtung Berchtesgaden fuhr, in der leichten Linkskurve auf den rechten Bürgersteig geraten, hatte eine kleine, ca. 30 cm hohe Betonmauer gerammt und stürzte in Höhe der Wasch- und Pflegehalle um. Die Ladung des Tankzuges (34000 Liter Super- und Normalbenzin) geriet sofort in Brand, die Höhe der Feuerwand dürfte etwa 20-30 m betragen haben.

Auslaufendes und brennendes Benzin floß auf der an dieser Stelle abfallenden Berchtesgadener Straße in einer Breite von 1 m mehrere hundert Meter zurück in Richtung Innenstadt und setzte dabei Bauhütten, Gartenzäune und Bäume sowie einen Einachsanhänger in Brand. Dabei gelangten Teile des brennenden Benzins auch in das Kanalsystem. Das der Tankstelle gegenüberliegende Wohnhaus geriet ebenfalls sofort in Brand. Über die angrenzende Altstadt zog eine dichte Rauchwolke. Folgende Objekte wurden unmittelbar vom Feuer erfasst:

- Die Wasch- und Pflegehalle der ESSO-Tankstelle mit den darin abgestellten Fahrzeugen

- Die Büro-Räume der ESSO-Tankstelle

- Das gegenüberliegende Wohnhaus mit kleineren Anbauten

Der Fahrer des Tankzuges war im Führerhaus eingeklemmt; er war nicht mehr zu retten.

Bei dem brennenden Wohnhaus waren 7 Personen vom Feuer bedroht: 5 Bewohner sprangen aus Fenstern im 1. Stock und wurden schwerverletzt dem Roten Kreuz übergeben. 2 Personen wurden über die DLK 23-12 gerettet und leicht verletzt vom Roten Kreuz ins Krankenhaus gebracht. Die Menschenrettung war äußerst schwierig, da sich der Brand bereits auf das ganze Wohnhaus ausgedehnt hatte und ein Vorgehen über den Treppenraum zu diesem Zeitpunkt schon nicht mehr möglich war.

 

 

3. Beurteilung der Lage

Als Schwerpunkt galt es zunächst, die Menschen des in Brand geratenen Wohnhauses zu retten und in Sicherheit zu bringen. Einen weiteren Schwerpunkt stellte das brennende Benzin dar, das in die Kanalisation lief. Aufgrund der Lage-Rückmeldung löste die Feuerwehr-Einsatzzentrale um 20.35 Uhr nach Alarmplan Alarm für die Feuerwehren Bayerisch Gmain und Großgmain aus, um das Feuer auch von Südosten her angreifen zu können. Die beiden Feuerwehren trafen um 20.45 Uhr bzw. um 20.55 Uhr ein.
Außerdem wurde um 20.50 Uhr noch die Feuerwehr Freilassing mit ÖSA angefordert, um – zusammen mit dem ÖSA Bad Reichenhall – möglichst viel Benzin aus der Kanalisation aufnehmen zu können. Weiters wurden die Stadtwerke, der städtische Bauhof und die Bundesbahn verständigt.

4. Ausführung

  1. Die DLK 23-12 wurde sofort zur Menschenrettung am brennenden Wohnhaus eingesetzt.
  2. Das TroTLF 16 mit Schaum-Wasserwerfer wurde zur Brandbekämpfung am Tankzug befohlen.
  3. Zwei nachfolgende LF 8 erhielten den Auftrag zur Brandbekämpfung am Wohnhaus und entlang der Straße. Das Feuer entlang der Straße konnte in kürzester Zeit gelöscht werden.
  4. Die Feuerwehren Bayerisch Gmain und Großgmain errichteten von Südosten her eine Widerstandslinie, um ein Übergreifen des Feuers auf angrenzende Häuser in Richtung Bayerisch Gmain zu verhindern. Nach Aufbau der Widerstandslinie trugen diese beiden Feuerwehren einen Löschangriff auf den brennenden Tankzug und vor allem auf die Tankstellengebäude vor. Insbesondere wurde im Bereich der Tankstelle selbst ein Schaumteppich aufgebracht, um die Tankstelle zu schützen.
  5. Funkwagen der Landespolizei machten die Bevölkerung der Altstadt sowie entlang des Hauptkanals auf die Explosionsgefahr aufmerksam. Der Kraftfahrzeugverkehr wurde eingestellt, die Beleuchtung abgeschaltet. Die Bevölkerung wurde vorsorglich auf eine unter Umständen notwendig werdende Evakuierung hingewiesen. Die Einsatzstelle sowie der gesamte Gefahrenbereich wurden durch die Landespolizei vorbildlich abgesperrt.

Nachdem die Wasser- und Schaummittelversorgung auf der Nordseite der Feuerwehr Bad Reichenhall für den Schaum-Wasserwerfer aufgebaut war, wurde der Löschangriff mit Pulver aus dem TroTLF 16 eingeleitet und unmittelbar nahtlos mit Schaum vom Werfer fortgesetzt. Ziel war es, den Brand so weit in den Griff zu bekommen, dass das auslaufende Benzin „kontrolliert“ abbrannte und nicht mehr Benzin als unvermeidlich, in die Kanalisation floss. Wie sich am Schluss des Einsatzes herausstellte, kam dem Einsatz dabei der Aufbau des Tanks aus Leichtmetall mit 6 Kammern sehr entgegen.

Um das in die Kanalisation eingedrungene Benzin unter Kontrolle zu bringen, wurden auf einer Länge von ca. 1 km die Kanaldeckel geöffnet und aus Hydranten Wasser in den Kanal eingeleitet. Damit sollte die Fließgeschwindigkeit in der Kanalisation erhöht und so die Explosionsgefahr verringert werden.

Mit den ÖSA von Bad Reichenhall und Freilassing konnten 12000 Liter Benzin-Wasser-Gemisch aus der Kanalisation aufgefangen und in Faltbehälter gepumpt werden. Im städtischen Klärwerk wurde sofort der biologische Teil der Kläranlage abgeschaltet. Noch in der Nacht auf den 23. November konnten im mechanischen Teil der Kläranlage ca. 16000 Liter Benzin-Wasser-Gemisch aufgefangen und nach München zur Sondermüllentsorgung abtransportiert werden.

Auf Initiative des Oberbürgermeisters, der mit der Einsatzleitung in ständiger Verbindung stand, wurde in verschiedenen Hotels, die sich zur Verfügung stellten, vorsichtshalber Platz für evtl. zu evakuierende Bewohner bereitgehalten. Das BRK stand mit 3 KTW, 2 NAW, 2 Ärzten und 60 Mann ständig in Bereitschaft für notwendige Evakuierungsmaßnahmen. Angehörige der Stadtwerke kontrollierten ständig den Anteil an Benzindämpfen in der Luft, um die Einsatzleitung sofort von nötigenfalls zu treffenden Maßnahmen unterrichten zu können.

5. Auswirkungen

Um 23.00 Uhr war das Feuer unter Kontrolle, um 3.00 Uhr früh die Löscharbeiten beendet. Um 2.00 Uhr früh war auch die Gefahr in der Kanalisation gebannt.

Die Aufräumarbeiten der Freiwilligen Feuerwehr Bad Reichenhall an der Unfallstelle, das Verladen der Tankzugreste auf einen Tieflader sowie die Bergung des in den Flammen umgekommenen Tankzugsfahrers dauerten noch bis Dienstag 18.00 Uhr.

Die Zusammenarbeit aller beteiligten Kräfte lief reibungslos. Dieser Einsatz hat gezeigt, welche Erfolge mit guter Ausbildung und Ausrüstung erzielt werden können.

  

Der 22. November 1982. Ein ruhiger Montagabend, 20.30 Uhr, Fernsehzeit. Ein Fernfahrer aus Heilbronn steuert seinen 38-Tonnen-Tankzug über die B 20 durch den Kurort Bad Reichenhall. Seit morgens 7.30 Uhr ist er schon unterwegs. Zur selben Zeit strickt eine Hausfrau gerade an einem Weihnachts-Pulli. Sie erinnert sich: „Ich habe gehört, wie der Brummi runterschaltete, der Motor aufheulte. Mein Gott, dachte ich, der ist doch viel zu schnell. Da kommt doch gleich die Linkskurve mit der Tankstelle.“ Ein paar Sekunden später zerfetzen ihre Fensterscheiben, eine Flammenwand schießt am Haus hoch.

In der engen Linkskurve hatte der Fernfahrer die Kontrolle über seinen 38-Tonner verloren, war auf den Bürgersteig geraten, hatte eine 30 Zentimeter hohe Betonmauer gerammt und war schließlich in die Tankstelle geschlittert. Dort stürzte sein Lkw um, überschlug sich und kam vor der Waschhalle zum Liegen. Die Tanks zerbarsten, 34.000 Liter Benzin entzündeten sich und rollten als Feuerwalze die Innsbrucker Straße hinunter, in Richtung Altstadt. Eine 30 Meter hohe Flammenwand schlug zuerst gegen ein zweistöckiges Haus gegenüber der Tankstelle und setzte es vollständig in Brand. Fünf Bewohner können sich nur durch einen mutigen Sprung aus dem ersten Stock retten. Schwer verletzt werden sie ins Krankenhaus eingeliefert. Zwei Rentnerinnen, die nicht sprangen, werden in letzter Minute von Feuerwehrleuten über die DL 30 geborgen. Sie erlitten Rauchvergiftungen.

300 Meter Straße brennen. Großalarm. Sechs Stunden lang kämpfen 150 Feuerwehrleute gegen die Flammenhölle. Zur Unterstützung werden auch die benachbarten Feuerwehren angefordert. Besonders teuflisch: Alle schweben in Lebensgefahr, da niemand weiß, ob die unterirdischen Benzinstanks der Tankstelle nicht auch noch hochgehen. Brennendes Benzin läuft in die Kanalisation, auch dort Explosionsgefahr. Mit den ÖSA-Anhängern aus Bad Reichenhall und Freilassing werden noch in derselben Nacht 12 000 Liter Benzin-Wassergemisch aus der Kanalisation aufgefangen und in Faltbehälter gepumpt. Die Kläranlage sondert weitere 16 000 Liter ab. Die gesamten Aufräumarbeiten dauern noch den ganzen nächsten Tag, Bilanz des Großeinsatzes: 7 Verletzte, 1 Toter. Denn der Tankzugfahrer kann nicht gerettet werden. Trotzdem leisteten die Männer der FF Bad Reichenhall ganze Arbeit.